Audio-Station in der Ausstellung "Animalia. Streifzüge von Los Angeles bis Mumbai / Animalia. Forays from Los Angeles to Mumbai", 12 liebestier-Gedichte

gemiu, kranich

in der frühen morgendämmerung, wenn die sonnenstrahlen schräg über dem see stehen,
erwacht mein sinn für die alchemie der körper.

ich schüttle mein gefieder frei, strecke meinen bogenförmigen hals und schreite
mit langen beinen auf dich zu.

nach all den jahren liebe ich noch immer diesen moment, wenn mein ruf ertönt
und du antwortest,

wenn wir gemeinsam köpfe und schnäbel aufwärts richten, den hals nach hinten neigen,
unsere schwingen heben.

wir stehen eng beieinander, spüren den druck unserer körper durch das gefieder,
bewegen uns gemächlich nebeneinander her.

plötzlich breiten wir unsere flügel aus und beginnen den wilden tanz, laufen
in bogenförmigen linien voneinander weg,

aufeinander zu, mit schnellen schritten, knicken die beine ein, springen empor, schleudern
blätter, gräser, blüten in die luft.

wir gurren, trompeten, lassen tonreihe um tonreihe aus der kehle aufsteigen. jetzt
richtest du deinen oberkörper auf, winkelst deine flügel ab,

zeigst mir deine zeichnung. meine rote kopfplatte schwillt an, mein schnabel beginnt
zu zittern, ich warte auf die gurrenden laute, mit denen du sagst: spring,

mein rücken fängt dich auf.